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Der Iran ist anders - Ein weiterer Bericht aus Isfahan

Hier der dritte Bericht aus Isfahan:

Sandsturm - In Isfahan ist das Wetter vorhersehbar, Sonne und blauer Himmel sind die Regel. 

An manchen Tagen ist die Luft trüb von den Abgasen der unzähligen Autos aber selbst dann lässt es sich draußen aushalten. An Weihnachten kam der Wind, Sturmböen die feinen Sand aus der Wüste mitbringen und den Staub der Straßen in den Himmel treiben. Auf dem Weg in die Uni bläst er mir in den Rücken. Blätter und Tücher wirbeln durch die Luft. Auf dem Uni Gelände fliegen lose Wellblechplatten in die Bäume. Stadteinwärts treibt der Wind mir Sand, der Sand Tränen in die Augen. Der Saum meines Maknaehs1 fliegt hoch, fliegt mir ins Gesicht, einen Moment lang ich sehe nichts, steige vom Fahrrad, gerade rechtzeitig bevor mich eine Böe ins Straucheln bringt. Aus dem trockenen Flussbett des Zayandeh Rud steigen beige Wolken gen Himmel. Selbst die Hauptstraße vor unserem Haus ist wie leer gefegt, wer schlau ist, bleibt heute zu Hause. Auf dem großen Fenster, durch das mir morgens die Sonne ins Gesicht scheint, liegt nun eine helle Staubschicht, die mein Zimmer in gelbliches Licht taucht. Nach zwei Tagen Sturm kommt der Regen, der in Isfahan nie fällt. Fällt und wäscht den Staub aus der Luft, den Sand von den Autos. Der Staub auf meinem Fenster hat sich in ein hellbraunes Fleckenmuster verwandelt. Am nächsten Tag kehrt die Sonne zurück und spiegelt sich in den letzten Pfützen, die in den besonders tiefen Schlaglöchern liegen geblieben sind. 

Granatapfelwein

Wie auf Pause gedrückt, so fühlt es sich an, als wir die Grenze nach Armenien überqueren. Mein Leben im Iran wird mitsamt seinen Regeln, der staubigen Luft, der täglichen Sonne, den unzählbaren Gläsern Tee und den Menschen, die mich jeden Tag aufs Neue in ihrem Land willkommen heißen, mit der gegenseitigen Neugier und den täglichen Missverständnissen für eine Weile angehalten. Eine selbstgeschenkte Auszeit, nicht aus Müdigkeit sondern um Luft zu holen. Außerdem lockt der Wein, von dem Hafez nicht müde wird zu schreiben, der durch das Königsbuch von Ferdousi fließt - der im Iran heute verboten ist. 

Auf dem Weg Richtung Norden zur iranisch-armenischen Grenze zieht schneebedeckte Wüste im Morgenlicht an uns vorbei. Das letzte Stück Taxifahrt geht durch Niemandsland, bloß ein Fluss trennt den Iran von Aserbaidschan und Armenien. Auf der Mitte der Brücke, die den Grenzübergang darstellt, verlassen wir den Iran und laufen weiter nach Armenien. Als wir den ersten pelzbemützten Grenzbeamten erreichen, traue ich mich mein Kopftuch abzunehmen. Tausche es gegen eine Mütze, denn ohne ist zu kalt, ohne fühlt es sich seltsam an. Die Kälte begleitet uns bei Tag durch die Straßen von Meghri, Kappan und Goris und bei Nacht bis in die Betten unserer zugigen Unterkünfte. Alles ist anders als im Iran, sieht anders aus, riecht anders. Der Käse schmeckt salziger. Die Berge sind steil und schneebedeckt, durch die Täler ziehen sich grüne Teppiche aus Gras. Das Brot hat eine andere Form, Brotform. Niemand trägt Kopftuch, Frauen tragen kurze Kleider und hohe Schuhe, trotz Kälte. Flüsse tragen Wasser, schönes blaues Wasser. Während sich im Iran das Leben hinter verschlossenen Gardinen abspielt, sind in Kappan die Straßen mit einem Dach aus Wäsche überspannt. Meterlange Leinen ziehen sich von Fenster zu Fenster, Hauswand zu Laterne, Dach zu Dach. 

Bloß die Granatapfelbäume sind gleich, halten auch hier noch fest an ihren letzten, winzigen Früchten, blätterlos im Wind. 

Der erste Mensch der uns anspricht ist ein kleiner alter Mann. Mit großer Vehemenz lädt er uns zu sich nach Hause ein. Am Gartentor begrüßt uns ein wuseliger Haufen Welpen. Die Begrüßung der Hausherrin fällt weniger herzlich aus, scheinbar ist sie mit unserem spontanen Besuch nicht so richtig einverstanden und schimpft darüber, wen ihr Mann da schon wieder ungefragt angeschleppt hat. Trotzdem gibt es Kaffee und Abendessen; immer mehr, immer neue Speisen und Getränke werden aufgetischt. Im wörtlichen Sinne, denn während im Iran für das Abendessen ein Tuch auf dem Wohnzimmerteppich ausgebreitet würde, werden wir hier an den Tisch gebeten, einen Teppich gibt es gar nicht. Die Stimmung wird ausgelassen und als wir uns endlich verabschieden schenkt die Hausherrin uns doch noch ein Lächeln. 

Erst in Yerevan begegnen uns sichtbare Spuren des Armenischen Genozids. Auf einem Hügel hoch über der Stadt sticht ein Mahnmal in den wolkenverhangenen Himmel, das Europäische Parlament hat vor kurzem einen Kranz dagelassen. In der Erde darunter erzählt ein Museum die Geschichte eines verfolgten Volkes, erzählt von Diskriminierung, Tod und Vertreibung. Und ich staune wie neu alles für mich ist, ich staune wie es sein kann dass, ich bis jetzt nie damit konfrontiert wurde. 

Zurück an der Grenze betrachtet ein iranischer Polizist minutenlang unser Pässe, bis er sie mit einem entschiedenen „No Visa“ zurück durchs Fenster reicht. Die iranische Bürokratie meint es mal wieder gut mit uns. Nach kurzem Diskutieren dürfen wir weitergehen und unser Anliegen dem nächsten Grenzbeamten vortragen. Ohne Nachfrage drückt der uns Einreisestempel in die Pässe. Die Befragung kommt danach, durch 3 unterschiedliche Polizisten und ist wohl eher auf Neugierde als auf Argwohn zurückzuführen, bis wir uns schließlich auf den Heimweg nach Isfahan machen dürfen.  „Welcome to Iran!“  

Yalda

Yalda – so heißt die längst Nacht des Jahres, der Beginn des Winters. Im Iran werden nicht nur Islamische Feiertage begangen, auch die Feste aus der vorislamischen Zeit der Zoroastrier sind feste Bestandteile eines jeden Kalenderjahres. Um sich in dieser langen, dunklen Nacht vor dem Bösen, vor Dämonen und Gedanken zu schützen verbrachte man sie in früheren Zeiten am besten im Kreis der Familie. Auch heute noch treffen sich Iranische Familien in der Yalda-Nacht im Haus des ältesten Familienmitglieds essen Obst und lauschen den Werken der großen persischen Dichter. Und so manch einer vermag es sogar aus einem zufällig aufgeschlagenen Hafez Gedicht seinen Zuhörern die Zukunft zu lesen. Bei Niloofar, einer zufälligen Busbekanntschaft zwischen Isfahan und Kashan, türmen sich Granatäpfel, Bananen, Kiwis, Orangen, Trauben und Gurken kunstvoll in Richtung Zimmerdecke. Teller mit Wassermelonenstücke und große Schalen voller Nüsse, Kerne, Popcorn und Rosinen sind im Wohnzimmer verteilt. Kerzen schmücken das festliche Arrangement, vom Kronleuchter hängen Luftballons in Iranfarben - Absicht oder nicht, das bleibt ungewiss. Es ist der Tag nach Yalda und wir sind zum Abendessen eingeladen. Nachdem der Inhalt jeder Schale einzeln angeboten, abgelehnt, angeboten, abgelehnt, angeboten2 und schließlich von uns probiert wurde bleibt kaum noch Luft für das eigentliche Abendessen. Und während wir satt und zufrieden mit der Familie unserer Gastgeberin beisammensitzen denke ich, dass Yalda fast ein bisschen wie Weihnachten ist. Tatsächlich ist der Name Yalda dem arabischen und persischen Wort für Geburt nicht unähnlich. Und vielleicht ist es auch gar kein Wunder, dass in den dunkelsten Tagen des Jahres Menschen an den unterschiedlichsten Orten überall auf der Welt die Geborgenheit der Familie suchen.

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1 Maknaeh ist ein kapuzenähnliches Kopftuch das zur Kleiderordnung auf dem Campus gehört.

2 Tarof sind iranische Höflichkeitsfloskeln, denen zu Folge man jedes Angebot zwei Mal ablehnen muss.